Lieder übersetzen: Warum hören wir einander nicht mehr zu?

Normalerweise schreibe ich meine Blogbeiträge auf Englisch, aber für dieses Thema bietet es sich deutlich mehr an, auf Deutsch zu schreiben.

Ich möchte über zwei Lieder schreiben, die für mich in ihrer ursprünglichen englischen Fassung geistlich wertvoll sind und bei denen die offizielle deutsche Übersetzung ein paar wenige, aber entscheidende Inhalte völlig entstellt hat. Und ich möchte darüber schreiben, was das für mich an Mangel in unserer (auch unserer christlichen) Kultur offenbart, einander ernsthaft zuzuhören.

1) Phil Wickham — Battle Belongs

Der Chorus fängt so an:

And when I fight I fight on my knees
With my hands lifted high
Oh God, the battle belongs to You

Die deutsche Übersetzung klingt so:

Und wenn ich kämpf, dann auf meinen Knien
Heb die Hände zu Dir
Mein Gott, der Sieg gehört Dir allein

Battle” bedeutet “Kampf” und nicht “Sieg” — klarer kann ich es nicht ausdrücken. Der Sieg ist das, was nach dem Kampf kommt. Ja, es ist wahr, dass wir Siege in jedem Kampf nur durch Gottes Gnade und Kraft erringen können. Aber dieses Lied dreht sich ja eben gerade darum, dass ich nicht erst dann Gott die Ehre ausspreche und mein Vertrauen auf ihn setze, wenn der Kampf vorbei ist, sondern gerade mitten im Kampf.

Ich weiß, dass Übersetzen nicht einfach ist — diesen Blog normalerweise auf Englisch, also nicht in meiner Muttersprache zu schreiben, ist auch nicht immer leicht. Und bei Liedern muss man auf viele Dinge zusätzlich achten: Die Silbenanzahlen sollten aufeinander passen, damit keine Lücken oder Zusatznoten entstehen im Vergleich zur Originalmelodie, damit man das Lied leichter mitsingen kann, falls man es auch im Original kennt. Auch die Betonungen von Wörtern müssen auf den Rhythmus der Melodie passen.

Aber an dieser spezifischen Stelle, die noch dazu die textlich zentralste Stelle des Liedes ist (ansonsten wäre sie nicht der Titel des Liedes), kann ich keinen einzigen Grund erkennen, warum man absichtlich den Inhalt des Liedes abändert. Die Silbenanzahl ist identisch, es wäre kein extremer Zungenbrecher, auch mit der Betonung gäbe es keine Probleme.

2) Meredith Andrews — Make Room

Ein kleineres Beispiel aus der Bridge, das für mich weniger schlimm ist, aber dennoch die gleichen Symptome aufweist:

Shake up the ground of all my tradition
Break down the walls of all my religion
Your way is better

Im Deutschen wird daraus:

Reiß Mauern ein, die mich von Dir trennen
Brich alles auf, was Dich in mir eingrenzt
Dein Plan ist größer

Ist Sein Weg wirklich nur das, was Er plant? Beinhaltet Sein Weg nicht vielmehr auch Seine Art zu handeln und Seinen Charakter? Warum berauben wir den ursprünglichen Text seiner Bandbreite und Tiefe und verengen ihn auf das, was wir meinen verstanden zu haben?

Auch hier sehe ich keinen musikalischen Grund, wegen dem die wörtliche Übersetzung “Dein Weg ist besser” deutlich schlechter wäre.

Symptome von gegenseitiger Ignoranz

Wenn wir Lieder aus anderen Sprachen in unsere eigene übersetzen, dann legen wir den Autoren dieser Lieder unsere Worte in den Mund. Warum fällt es uns offensichtlich so leicht, einfach über das hinwegzugehen, was die Autoren klar und deutlich in ihren Texten geschrieben haben? Nehmen wir uns einfach nicht die Zeit den Text genau zu lesen und damit umzugehen? Wollen wir einfach nur möglichst schnell ein schön klingendes Lied in unser Repertoire aufnehmen und uns (ganz wortwörtlich) “aneignen” statt zuerst die Worte des Liedes in der Tiefe zu uns selbst reden zu lassen?

Wenn wir das tun, dann ist klar, dass bei unserem Versuch Anbetungslieder zu übersetzen, letztlich nur eigene Lieder mit anderer Theologie und geklauter Melodie dabei herauskommen! Ich empöre mich darüber. Und zwar nicht zuallererst, weil ich sehr genau bin.

Ich glaube, dass wir an vielen Stellen verlernt haben, einander wirklich ernsthaft zuzuhören. Und dieser Mangel an “geöffneten Ohren des Herzens” wird niemals nur unsere Kommunikation untereinander als Menschen betreffen, sondern immer auch unsere Bereitschaft, Gott mit offenen Ohren und Herzen zuzuhören. Ich bin überzeugt, dass es einen “besseren Weg” gibt.

Wie kehren wir davon um?

Dieser Weg besteht nicht zuallererst darin, dass wir sklavisch jedes Anbetungslied so wortwörtlich wie nur irgend möglich übersetzen, selbst wenn man es dann nicht mehr singen kann. Stattdessen liegt meiner Ansicht nach die Lösung darin von Jesus zu lernen. Wie war er mit Menschen im Gespräch? Auf welche Weise hat Er ihnen zugehört hat, ihnen geantwortet, ihnen Fragen gestellt?

Wenn wir das lernen, dann lernen wir ganz generell einen anderen Umgang miteinander, einen Umgang, der dem Reich Gottes unter uns entspricht. Und im natürlichsten Fall befähigt uns das, wie wir uns Jesus zuwenden, Ihm zuhören und von Ihm lernen dazu, auch anderen Gehör zu schenken und ihre Worte ernst zu nehmen.

Lasst mich zwei Beispiele dafür aufzeigen, an denen wir von Ihm, dem Meister, lernen können:

A) Jesus im Erbstreit

In Lukas 12,13-15 (NGÜ):

Einer aus der Menge bat Jesus: »Meister, sag doch meinem Bruder, er soll das väterliche Erbe mit mir teilen!«
Jesus entgegnete ihm: »Lieber Mann, wer hat mich denn zum Richter über euch eingesetzt oder zum Vermittler in euren Erbangelegenheiten?«
Dann wandte er sich an alle und sagte: »Nehmt euch in Acht! Hütet euch vor aller Habgier! Denn das Leben eines Menschen hängt nicht von seinem Wohlstand ab.«

Jesus hört genau, was der Mann sagt. Aber Er hört auch mehr als nur das, was der Mann sagt. Dass Jesus direkt nach Seiner Antwort an den Mann zur Menge über Habgier spricht, ist nicht einfach ein geschickter rhetorischer Move, sondern Jesus weiß genau, dass sowohl bei dem Mann als auch bei vielen in der Menge (und auch wir sind darunter!) Habgier in den Herzen herrscht. Deshalb geht Er nicht einfach nur oberflächlich auf das ein, was Ihm der Mann sagt. Er antwortet vielmehr zutiefst auf der Ebene, auf welcher der Mann wirklich eine Antwort braucht, damit nicht länger der Neid sein Leben bestimmt!

B) Jesus und Martha

In Lukas 10,40ff (ELB):

Marta aber war sehr beschäftigt mit vielem Dienen; sie trat aber hinzu und sprach: »Herr, kümmert es dich nicht, dass meine Schwester mich allein gelassen hat zu dienen? Sage ihr doch, dass sie mir helfe!«
Jesus aber antwortete und sprach zu ihr: »Marta, Marta! Du bist besorgt und beunruhigt um viele Dinge; eins aber ist nötig. Maria aber hat das gute Teil erwählt, das nicht von ihr genommen werden wird.«

Das Muster ist das gleiche: Jesus hört die Worte und nimmt darüber hinaus die ganze Person wahr — und Er spricht zur ganzen Person.

Lasst uns Jesus auf die Art und Weise dieser Menschen suchen (also ganz ehrlich und unvollkommen) und lernen, Ihm wirklich zuzuhören und zu gehorchen. Und wenn wir Ihn selber so erlebt haben und beständig erleben (wie konnten wir so blind sein zu denken, wir könnten auch nur einen Handgriff gut tun, ohne uns dabei Seiner kostbaren Gegenwart bewusst zu sein!), dann wird unser Umgang miteinander automatisch ein anderer werden, in dem sowohl die Worte als auch der Mensch dahinter für uns lebendig und nah und wertvoll werden. Und wenn wir dann sprechen, dann gilt uns die Zusage von Jesus selbst:

Wenn jemand an Mich glaubt, werden aus seinem Inneren, wie es in der Schrift heißt, Ströme von lebendigem Wasser fließen.

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